Es gibt Dinge, die der Dienstleister seinem Kunden nicht erzählt. Über diese „Asymmetrische Informationsverteilung“ im Wirtschaftsleben gibt es interessante theoretische Betrachtungen, aber was kann man für ein ERP-Projekt daraus lernen?
Ein Kunde lässt sich von einem Dienstleister helfen, wenn er die fragliche Tätigkeit aus zeitlichen oder fachlichen Gründen nicht selbst erbringen kann. Im ERP-Projekt wird eher letzteres der Fall sein, wenn ein Unternehmen einen Anbieter beauftragt: Der Dienstleister kennt sich mit der Implementierung des Produktes, seiner Programmierung, Einrichtung und – zunächst auch – Bedienung viel besser aus.
Allgemein spricht man davon, dass das Wohlergehen der auftraggebenden Partei (dem „Prinzipal“ von lat. princeps = Vorsteher) abhängt von den Handlungen der leistungserbringenden Partei (dem „Agenten“ von lat. agere = handeln).
Wenn beide Geschäftspartner ihre Eigeninteressen verfolgen („Maximierung des eigenen Nutzens“), droht der Geschäftsbeziehung der beiden Parteien ein Zielkonflikt: Die eine Partei möchte möglichst viel Leistung für möglichst wenig Geld erhalten, die andere möglichst wenig Leistung für möglichst viel Geld erbringen. Interessanterweise reden beide Parteien hierbei von „Wirtschaftlichkeit“.
Ein „Prinzipal-Agent-Problem“ im Sinne der Wirtschaftstheorie entsteht, wenn der Dienstleister über seine Leistungen mehr weiß als der Kunde. Dazu gibt es vier Varianten:
Wenn der Kunde das Ergebnis bezahlt, ohne die Handlungen des Dienstleisters während der Leistung selbst oder auch im nachinein beurteilen zu können, spricht man von „Versteckter Handlung“ (im Wirtschaftsdeutsch: hidden action).
Im ERP-Projekt kann es sich z.B. um Programmierarbeiten handeln, die der Kunde nach Umfang und Qualität nicht beurteilen kann, wenn er nämlich selbst im fraglichen ERP-System keine Programmiererfahrung hat. Ein Tag tatsächlicher Aufwand des Programmierers könnte dann als „vier Tage Anpassungsarbeiten“ auf der Rechnung erscheinen.
Wenn der Kunde nicht entscheiden kann, ob das Ergebnis von den Aktivitäten des Dienstleisters oder von anderen Einflüssen abhängt (z.B. vom Zufall), handelt es sich um „Versteckte Information“ (hidden information).
Diese Variante tritt eher im „weichen“ Umfeld von ERP-Projekten auf, z.B. beim Change Management: Ob die hohe Akzeptanz des neuen Systems in der Belegschaft wirklich auf den umfangreichen (und kostspieligen) Bemühungen des externen Change Management-Beraters beruht, lässt sich auch im Nachinein nur schwer sagen.
Oder wenn Sie bei der Einrichtung der ERP-Arbeitsplätze Feng Shui-Richtlinien befolgen, und die Ergebnisse im System sind trotzdem schlecht, kann es daran liegen, dass asiatische Harmonielehren im Geschäftsleben „nichts bringen“. Es hätte aber auch sein können, dass Ihre geschäftliche Situation ohne den Feng Shui-Berater noch viel schlimmer geworden wäre – wer weiß?
Wenn der Dienstleister von vornherein nicht in der Lage ist, den Vertrag im Sinne des Auftraggebers zu erfüllen, nennt man die Variante „Versteckte Eigenschaft“ (hidden characteristics).
Ein ERP-Dienstleister könnte z.B. einen Auftrag annehmen, obwohl er genau weiß, dass er nicht genug qualifiziertes Personal für die Vielzahl seiner begonnenen Projekte hat. Oder er weiß, dass sein Produkt nicht die Funktionsvielfalt besitzt, die er dem Kunden als „im Standard schon enthalten“ verkauft hat. (Dann geht er jedoch davon aus, dass seine Programmierer das im Laufe des Projektes schon irgendwie unauffällig hinbekommen werden und die Arbeitszeit bei den „vier Tagen Anpassungsaufwand“ mit unterbringen – siehe oben.)
Wenn die eine Partei zwar könnte, aber nicht will, spricht man schließlich von „Versteckter Absicht“ (hidden intention).
So zum Beispiel, wenn der Kunde im Voraus zahlt und dann hoffen muss, dass sein ERP-Anbieter, dessen Absichten er im Weiteren nicht mehr beeinflussen kann, sich wunschgemäß verhält. Oder wenn umgekehrt (das gibt es auch!) ein Auftraggeber von vornherein plant, einen Großteil der Vertragssumme mit spitzfindigen Qualitätsrügen und Rückforderungen einzubehalten.
Wie kann der Agent „motiviert“ werden, sich im Sinne des Prinzipals zu verhalten? Offenbar eine ganz alte Frage, denn einige der möglichen Antworten haben bereits Eingang in unser Kulturgut gefunden – zumindest als Redewendungen:
Ideal ist es natürlich, wenn beide Parteien die Absicht leben, immer fair miteinander umzugehen. (Auch wenn in diesem Blogbeitrag ein anderer Eindruck entstanden sein mag: Das gibt es auch in ERP-Projekten!) Geschäftsbeziehungen im ERP-Umfeld sind in der Regel sehr langfristig angelegt (über Jahre und sogar Jahrzente), und da ist das Ausnutzen eines kurzfristigen Vorteils oft unter dem Strich doch ein Nachteil.
Den fairen Umgang mit Kunden kann man auch werbewirksam einsetzen (die Wirtschaftswissenschaften sprechen von „signalling“); dann bezeichnet man sich und den Kunden als „Partner“. Manche Kunden mögen das nicht und praktizieren eine klare Positionierung als „König“ – möglicherweise ist dies, intensiv ausgelebt, erst der auslösende Anreiz für den dienstleistenden Partner, seine reziprok altruistische Weltsicht in Frage und künftig das eigene Interesse obenan zu stellen. (In der Spieltheorie heißt diese Strategie übrigens „tit for tat“.)
Beim Dienstleister führt ein wenig partnerschaftliches Verhältnis natürlich zu negativer „Reputation“ im Markt. Beim Kunden übrigens ebenso: Es gibt auch Unternehmen, die für ihren „Verschleiß“ an ERP-Dienstleistern in der Branche bekannt sind, und für die niemand mehr gerne arbeitet. Merke: Die meisten Geschäftsführer der großen ERP-Dienstleister in Deutschland kennen sich, manche duzen sich. Auf jeden Fall reden sie miteinander.
Am anderen Ende der Verhaltens-Skala steht die vollständige Überwachung und Gegenprüfung aller Aktivitäten des Geschäftspartners. Hier kommt die „Transaktionskostenökonomik“ zum Zuge: Wenn die Kontroll-Aufwände höher werden als der erwartete Schaden durch den auf Eigennutz bedachten Agenten, lohnt sich der Ansatz nicht mehr.
Wenn sich ein Kunde selten bis nie mit ERP-Einführungen beschäftigt, kann es sich lohnen, einen „ERP-Implementierungsberater“ wie mich hinzuzuziehen, der die Aktivitäten und Aufwände des Dienstleisters etwas besser einschätzen kann. Aber natürlich handeln Sie sich bei mir wieder ein potentielles Prinzipal-Agent-Problem ein. :-)
Der Prinzipal, der mit dem Risiko eines „untreuen“ Agenten nicht allein leben will, kann diesen auch an seinen Risiken beteiligen. Es gibt ein paar vertragliche Ansätze, den Anreiz zum Eigennutz möglichst klein zu halten bzw. den zum „Wohlverhalten“ zu maximieren:
Wenn Sie nach „Prinzipal Agent Theorie“ googeln, stoßen Sie – neben den lesenswerten Wikipedia-Artikeln zum Thema – über kurz oder lang auf diese Links: