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Der Informationsvorsprung des Dienstleisters

23. Januar 2015

Es gibt Dinge, die der Dienstleister seinem Kunden nicht erzählt. Über diese „Asymmetrische Informationsverteilung“ im Wirtschaftsleben gibt es interessante theoretische Betrachtungen, aber was kann man für ein ERP-Projekt daraus lernen?

Die „Prinzipal-Agent-Theorie“

Ein Kunde lässt sich von einem Dienstleister helfen, wenn er die fragliche Tätigkeit aus zeitlichen oder fachlichen Gründen nicht selbst erbringen kann. Im ERP-Projekt wird eher letzteres der Fall sein, wenn ein Unternehmen einen Anbieter beauftragt: Der Dienstleister kennt sich mit der Implementierung des Produktes, seiner Programmierung, Einrichtung und – zunächst auch – Bedienung viel besser aus.

Allgemein spricht man davon, dass das Wohlergehen der auftraggebenden Partei (dem „Prinzipal“ von lat. princeps = Vorsteher) abhängt von den Handlungen der leistungserbringenden Partei (dem „Agenten“ von lat. agere = handeln).

Zielkonflikte

Wenn beide Geschäftspartner ihre Eigeninteressen verfolgen („Maximierung des eigenen Nutzens“), droht der Geschäftsbeziehung der beiden Parteien ein Zielkonflikt: Die eine Partei möchte möglichst viel Leistung für möglichst wenig Geld erhalten, die andere möglichst wenig Leistung für möglichst viel Geld erbringen. Interessanterweise reden beide Parteien hierbei von „Wirtschaftlichkeit“.

Ein „Prinzipal-Agent-Problem“ im Sinne der Wirtschaftstheorie entsteht, wenn der Dienstleister über seine Leistungen mehr weiß als der Kunde. Dazu gibt es vier Varianten:

Hidden action

Wenn der Kunde das Ergebnis bezahlt, ohne die Handlungen des Dienstleisters während der Leistung selbst oder auch im nachinein beurteilen zu können, spricht man von „Versteckter Handlung“ (im Wirtschaftsdeutsch: hidden action).

Im ERP-Projekt kann es sich z.B. um Programmierarbeiten handeln, die der Kunde nach Umfang und Qualität nicht beurteilen kann, wenn er nämlich selbst im fraglichen ERP-System keine Programmiererfahrung hat. Ein Tag tatsächlicher Aufwand des Programmierers könnte dann als „vier Tage Anpassungsarbeiten“ auf der Rechnung erscheinen.

Hidden information

Wenn der Kunde nicht entscheiden kann, ob das Ergebnis von den Aktivitäten des Dienstleisters oder von anderen Einflüssen abhängt (z.B. vom Zufall), handelt es sich um „Versteckte Information“ (hidden information).

Diese Variante tritt eher im „weichen“ Umfeld von ERP-Projekten auf, z.B. beim Change Management: Ob die hohe Akzeptanz des neuen Systems in der Belegschaft wirklich auf den umfangreichen (und kostspieligen) Bemühungen des externen Change Management-Beraters beruht, lässt sich auch im Nachinein nur schwer sagen.

Oder wenn Sie bei der Einrichtung der ERP-Arbeitsplätze Feng Shui-Richtlinien befolgen, und die Ergebnisse im System sind trotzdem schlecht, kann es daran liegen, dass asiatische Harmonielehren im Geschäftsleben „nichts bringen“. Es hätte aber auch sein können, dass Ihre geschäftliche Situation ohne den Feng Shui-Berater noch viel schlimmer geworden wäre – wer weiß?

Hidden characteristics

Wenn der Dienstleister von vornherein nicht in der Lage ist, den Vertrag im Sinne des Auftraggebers zu erfüllen, nennt man die Variante „Versteckte Eigenschaft“ (hidden characteristics).

Ein ERP-Dienstleister könnte z.B. einen Auftrag annehmen, obwohl er genau weiß, dass er nicht genug qualifiziertes Personal für die Vielzahl seiner begonnenen Projekte hat. Oder er weiß, dass sein Produkt nicht die Funktionsvielfalt besitzt, die er dem Kunden als „im Standard schon enthalten“ verkauft hat. (Dann geht er jedoch davon aus, dass seine Programmierer das im Laufe des Projektes schon irgendwie unauffällig hinbekommen werden und die Arbeitszeit bei den „vier Tagen Anpassungsaufwand“ mit unterbringen – siehe oben.)

Hidden intention

Wenn die eine Partei zwar könnte, aber nicht will, spricht man schließlich von „Versteckter Absicht“ (hidden intention).

So zum Beispiel, wenn der Kunde im Voraus zahlt und dann hoffen muss, dass sein ERP-Anbieter, dessen Absichten er im Weiteren nicht mehr beeinflussen kann, sich wunschgemäß verhält. Oder wenn umgekehrt (das gibt es auch!) ein Auftraggeber von vornherein plant, einen Großteil der Vertragssumme mit spitzfindigen Qualitätsrügen und Rückforderungen einzubehalten.

Gegenmaßnahmen

Wie kann der Agent „motiviert“ werden, sich im Sinne des Prinzipals zu verhalten? Offenbar eine ganz alte Frage, denn einige der möglichen Antworten haben bereits Eingang in unser Kulturgut gefunden – zumindest als Redewendungen:

Tue Gutes (und rede darüber)

Ideal ist es natürlich, wenn beide Parteien die Absicht leben, immer fair miteinander umzugehen. (Auch wenn in diesem Blogbeitrag ein anderer Eindruck entstanden sein mag: Das gibt es auch in ERP-Projekten!) Geschäftsbeziehungen im ERP-Umfeld sind in der Regel sehr langfristig angelegt (über Jahre und sogar Jahrzente), und da ist das Ausnutzen eines kurzfristigen Vorteils oft unter dem Strich doch ein Nachteil.

Den fairen Umgang mit Kunden kann man auch werbewirksam einsetzen (die Wirtschaftswissenschaften sprechen von „signalling“); dann bezeichnet man sich und den Kunden als „Partner“. Manche Kunden mögen das nicht und praktizieren eine klare Positionierung als „König“ – möglicherweise ist dies, intensiv ausgelebt, erst der auslösende Anreiz für den dienstleistenden Partner, seine reziprok altruistische Weltsicht in Frage und künftig das eigene Interesse obenan zu stellen. (In der Spieltheorie heißt diese Strategie übrigens „tit for tat“.)

Beim Dienstleister führt ein wenig partnerschaftliches Verhältnis natürlich zu negativer „Reputation“ im Markt. Beim Kunden übrigens ebenso: Es gibt auch Unternehmen, die für ihren „Verschleiß“ an ERP-Dienstleistern in der Branche bekannt sind, und für die niemand mehr gerne arbeitet. Merke: Die meisten Geschäftsführer der großen ERP-Dienstleister in Deutschland kennen sich, manche duzen sich. Auf jeden Fall reden sie miteinander.

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Am anderen Ende der Verhaltens-Skala steht die vollständige Überwachung und Gegenprüfung aller Aktivitäten des Geschäftspartners. Hier kommt die „Transaktionskostenökonomik“ zum Zuge: Wenn die Kontroll-Aufwände höher werden als der erwartete Schaden durch den auf Eigennutz bedachten Agenten, lohnt sich der Ansatz nicht mehr.

Wenn sich ein Kunde selten bis nie mit ERP-Einführungen beschäftigt, kann es sich lohnen, einen „ERP-Implementierungsberater“ wie mich hinzuzuziehen, der die Aktivitäten und Aufwände des Dienstleisters etwas besser einschätzen kann. Aber natürlich handeln Sie sich bei mir wieder ein potentielles Prinzipal-Agent-Problem ein. :-)

Geteiltes Leid ist halbes Leid

Der Prinzipal, der mit dem Risiko eines „untreuen“ Agenten nicht allein leben will, kann diesen auch an seinen Risiken beteiligen. Es gibt ein paar vertragliche Ansätze, den Anreiz zum Eigennutz möglichst klein zu halten bzw. den zum „Wohlverhalten“ zu maximieren:

  • Einzelbeauftragung
    Die ERP-Implementierung wird zeitlich und/oder thematisch in mehrere Abschnitte unterteilt, die einzeln nacheinander (ggf. auch parallel an verschiedene Firmen) vergeben werden. So muss der Agent sich jedesmal neu bewähren, um den Folgeauftrag zu bekommen.
    Der Ansatz findet seine Grenzen in einem monopolistischen Markt, in dem der ERP-Dienstleister ein so einzigartiges Produkt anbietet (oder durch ausufernde Individualprogrammierung für diesen einen Kunden geschaffen hat), dass der Prinzipal aus der Abhängigkeit nicht heraus kommt.
  • Festpreis
    Steht der Auftragsumfang ungefähr fest, kann für das Projekt ein Festpreis vereinbart werden. So verhindert man die „schleichende Auftragsmehrung“, wo ohne Obergrenze immer weitere Leistungen ersonnen, erbracht und abgerechnet werden.
    Auf den Festpreis wird der Anbieter einen gehörigen Risikozuschlag aufschlagen. Und manche Leistungen lassen sich im ERP-Projekt nicht ohne detaillierte Analyse schätzen (wie zB. die Datenbereinigung und -Migration aus Altsystemen) daher wird ein vernünftiger Anbieter sie überhaupt nicht vorab zum Festpreis anbieten.
    Der Appetit kommt auch im ERP-Projekt beim Essen. Nachträglich hinzukommende Wünsche ( = Aufwände) müssen in einem Festpreis-Szenario mit einem sehr disziplinierten „Change Management“ kontrolliert werden: Eigene Schätzung, eigenes Angebot, eigener Auftrag.
  • Bonus / Malus
    Jede Planung ist mit Unsicherheiten behaftet. Man kann darüber, aber auch darunter liegen. Soll der Dienstleister doch daran beteiligt werden! Wird die ursprüngliche Budget- oder Terminplanung unterschritten, gibt es einen Bonus, im umgekehrten Fall eine Strafzahlung.
    Natürlich besteht hier der Anreiz, „großzügig“ zu planen. Ähnlich wie oben im Abschnitt „Vetrauen ist gut…“ wird eine Kontrolle benötigt, aber hier nur für die Planung, nicht mehr für jede einzelne Aktivität.
  • Bei Budgetüberschreitung: Weiterarbeit zum Deckungsbeitrag
    Dies ist eine Variante der Bonus/Malus-Regelung: Hier ist sichergestellt, dass der Dienstleister duch eine Fehlplanung nicht existenziell gefährdet wird, aber es würde ihm auch keinen Spaß mehr machen, das Projekt auszunutzen.
  • Reines Erfolgshonorar
    Ein ganzes Projekt dauert in der Regel zu lange, als dass der Anbieter sein Personal komplett vorfinanzieren würde. Er müsste außerdem auch für Lizenzen und ggf. Hardware umfangreich in Vorleistungen gehen. Selbst wenn er einen großzügigen Risikozuschlag einkalkuliert, hätte er die ganze Zeit eine Insolvenz des Kunden zu fürchten. (Der Kunde umgekehrt sollte besser nicht auf eine Insolvenz des Dienstleisters hoffen, denn mit einem „halbfertigen“ ERP-System könnte er nichts anfangen.)
    Für ganz punktuelle Dienstleistungen wie der Erstellung eines einzelnen „Reports“ hingegen ist ein Erfolgshonorar denkbar. Dann tun allerdings beide Seiten gut daran, den „Erfolg“ vorab, möglichst genau und messbar zu beschreiben!

Weiterführende Informationen

Wenn Sie nach „Prinzipal Agent Theorie“ googeln, stoßen Sie – neben den lesenswerten Wikipedia-Artikeln zum Thema – über kurz oder lang auf diese Links:

  • Die Uni München erläutert die „Prinzipal-Agent-Theorie“ in einem Vortrag, der auch auf die unter verschiedenen Bedingungen „optimalen Verträge“ eingeht. (Zum Vortrag gibt es auch noch eine mathematische Ausarbeitung.)
  • Das Gabler Wirtschaftslexikon bietet interessante Artikel zu den „Agency-Kosten“ (den Kosten, die durch Beauftragung eines Dienstleisters entstehen) im Allgemeinen und der „Transaktionskostenökonomik“ im Besonderen.
  • Thomas Hess vertieft in Kapitel 4 seines wissenschaftlichen Artikels zur Prinzipal-Agent-Theorie in Unternehmensnetzwerken die Möglichkeiten zur Risikoreduzierung, z.B. durch den Einsatz von Kontroll- oder Anreizsystemen.
  • Für Wirtschaftsmathematiker hier der Exkurs zur Prinzipal-Agent-Theorie aus der Controlling-Vorlesung von Gunther Friedl an der TU München (Vorsicht: Viele Formeln!)