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Der Betriebsrat im ERP-Projekt

28. November 2014

„Technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“ – ERP-Systeme gehören immer dazu. Hier hat der Betriebsrat eines Unternehmens nach §87 Abs 1 Nr.6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht. Wie kann man diese Mitbestimmung konstruktiv gestalten?

„Betriebsratsrelevante“ ERP-Themen

Im ERP-Projekt sind es diese drei Themengebiete, die die Rechte der Mitarbeiter berühren, regelmäßig Sorgen auslösen und somit den Betriebsrat auf den Plan rufen:

Leistungs- und Verhaltenskontrolle

Ein ERP-System kann weitreichende Kenntnisse über jeden Arbeitnehmer sammeln und beliebige Auswertungen darüber ermöglichen.

  • Zunächst können dazu alle Aktivitäten im ERP-System selbst (Daten-Eingaben, Buchungen, …) mit Zeitangaben aufgezeichnet werden.
  • Hinzu kommen Informationen aus angebundenen Systemen, z.B. aus Arbeitszeiterfassungs- und Zugangskontrollsystemen.
  • Der Bereich „Customer Relationship Management“ liefert die komplette Kommunikationshistorie mit Kunden, ein angebundenes Dokumentenmanagement die entsprechende Korrespondenz und alle übrigen Dokumente (mit einer Versionskontrolle ggf. bis hinab zum ersten Entwurfsstadium).

Die Kontrolle ist für den Anwender nicht erkennbar, da sie durch das System „anonym“ erfolgt, und er kann sie auch nicht abwenden, da die Grundfunktion des ERP-Systems naturgemäß auf der Integration von Betriebsdaten beruht.

Die angefallenen Informationen sind stets verfügbar und ermöglichen automatisierte Auswertungen und Kennzahlen im Sinne von …

  • Wieviele Stunden hat der Arbeitnehmer diese Woche gearbeitet, wieviel Prozent seiner Arbeitszeit war er für Kunden tätig, und wieviel Prozent dieser Zeit war zu welchem Preis an den Kunden fakturierbar?
  • Wer braucht am längsten für einen Vertragsabschluss, wer produziert die wenigsten Teile, wer die meisten Ausschuss-Teile und wer hat den höchsten Verbrauch von Hilfs- und Betriebsstoffen?
  • Wie entwickelt sich der Mitarbeiter über das Jahr, wie steht er im Vergleich zu seinen Kolleg/innen? Welches sind die 10% „Low Performer“?

Arbeitsorganisation

Die Arbeitsorganisation eines Unternehmens ist auf zwei Ebenen betroffen.

  • Zum einen kann eine ERP-Einführung die komplette Umwälzung betrieblicher Strukturen bedeuten, die zu Wegfall oder Auslagern von Arbeitsplätzen führt (Stichwort „Employee Self Service“: Mitarbeiter übernehmen Aufgaben der Personalabteilung oder der Abrechnung). Bestimmte Arbeitsschritte wie Scannen der Eingangspost oder Verschicken von Rechnungen lassen sich an externe Dienstleister abgeben.
  • Zum anderen wird bei bestimmten Arbeitsplätzen die Qualität der Arbeit verändert. Im System abgebildete automatisierte Arbeitsabläufe („Workflows“) verringern die Handlungs- und Gestaltungsspielräume der Betroffenen. Durch die Automatisierung sinken außerdem die Ansprüche an die Qualifikation der Mitarbeiter/innen in Bezug auf die eigentliche Aufgabe; gleichzeitig steigt die Anforderung, eine komplexe Software bedienen zu können.

Da alle Informationen im System elektronisch vorliegen und „Handakten“ nicht mehr erforderlich sind, ist der Bediener nicht mehr an einen bestimmten Arbeitsplatz gebunden, was Home Office-Regelungen (mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen wie größerer Flexibilität und der Gefahr der Selbstausbeutung) oder „desk sharing“-Arbeitsplätze ermöglicht.

Datenschutz

Der vorige Punkt mit den überall verfügbaren elektronischen Informationen hat natürlich nicht nur einen arbeitsorganiatorischen, sondern auch einen datenschutzrechtlichen Aspekt:

  • Ein modernes ERP-System, das Daten aus dem ganzen Unternehmen integriert, enthält Informationen zu Leistung, Kosten, Wirtschaftlichkeit, Vergütung, Stammdaten, Gesundheitsdaten, Qualifikationsprofilen, Leistungsbeurteilungen und Zeugnissen der Mitarbeiter/innen.
  • Diese Daten fallen automatisch an, auch ohne dass eine Auswertung beabsichtigt ist. Sie können aber auch innerhalb des ERP-Systems bewusst miteinander in Beziehung gesetzt oder in spezielle Analyseprogramme exportiert werden.
  • Diese Daten können im externen Rechenzentrum eines IT-Dienstleisters gespeichert und verarbeitet werden, bei internationalen Konzernen auch im (Nicht-EU-)Ausland der Konzernmutter.
  • Der Zugriff auf diese Informationen ist prinzipiell jedem Benutzer der ERP-Software möglich und wird nur durch ein sinnvolles und konsequent umgesetztes Rechtekonzept gesteuert.

Welche Möglichkeiten hat der Betriebsrat?

Zunächst ein Hinweis: Ein Wirtschaftsmediator ist kein Rechtsanwalt und macht keine Rechtsberatung! Ich möchte hier aber auch gar nicht die rechtlichen Möglichkeiten des Betriebsrates aufzählen, wenn das ERP-System schon (fast) eingeführt ist. Es geht mir darum, wie Unternehmensleitung und Betriebsrat von Beginn an im Projekt konstruktiv zusammenarbeiten können.

Grundsätzlich hilft immer, miteinander zu reden. Manchmal erscheint das – bei dem vielen „Fachchinesisch“ der IT-Branche – nicht ganz einfach, denn ein Betriebsrat ist oft nicht von Hause aus ein Experte in Sachen „ERP“. Aber dann stehen ihm Schulungen zu – oder die Unterstützung durch einen sachkundigen Dritten.

Je früher im Projekt man miteinander redet, desto besser

Manche Unternehmensleitung überlegt vielleicht, dass es nur Unruhe auslöst, wenn man die Mitarbeiter zu früh über Pläne und Vorhaben informiert. Aber seien Sie versichert: Diese Unruhe kommt auch, wenn man vorab nichts sagt. Dann kommt sie sogar noch stärker. Jeder hat mittlerweile in seinem Bekanntenkreis jemanden, in dessen Unternehmen „SAP“ (oder ein beliebiges anderes ERP-System) eingeführt wurde, und dabei hört man immer wieder wilde Gerüchte von komplizierter Bedienung, fehlenden Schulungen, Umstrukturierungen, überflüssig gewordenen Stellen und Entlassungswellen. Oft ist in Wirklichkeit alles halb so wild, aber wenn dies die einzige „Information“ zum Thema ERP ist, die die Mitarbeiter/innen haben, was sollen sie dann erwarten?

Je später, desto teurer

Und außerdem: Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates umfasst nicht nur die Frage nach dem „Wie“ einer Lösung zur Überwachung von Verhalten oder Leistung, sondern auch schon die Frage nach dem „Ob“. Es haben auch schon Betriebsräte ganze ERP-Projekte stoppen und sich erst mal auf „Ballhöhe“ bringen lassen – eine ausgesprochen teure Konsequenz des „nicht miteinander Redens“!

Zu Beginn des Projektes kann noch viel gestaltet und berücksichtigt werden, ohne dass gleich aufwändige Änderungen im schon halb fertig gestellten System erforderlich sind. Aber auch in den weiteren Projektphasen gibt es typische Möglichkeiten, den Betriebsrat einzubinden.

Konstruktives Einbinden in die verschiedenen Projektphasen

Im Vorfeld des Projektes:

  • Der Arbeitgeber informiert den Betriebsrat nach §80 Abs.2 S.1 BetrVG, nämlich „rechtzeitig und umfassend“.
  • Der Betriebsrat lässt sich schulen, z.B. von einem ERP-Anbieter, einem unabhängigen Berater oder einem freien Trainingsinstitut.
  • Der Betriebsrat zieht einen Sachverständigen hinzu, der das Projekt begleitet und ihn bei Bedarf unterstützt.
  • Auch die Belegschaft und die Betroffenen werden informiert. Ziele und Möglichkeiten des neuen Systems werden vorgestellt, Bedenken werden aufgenommen und behandelt.
  • Eine Betriebsvereinbarung wird entworfen. Im Detail ist dies in den frühen Projektphasen noch nicht möglich, aber eine „Vorvereinbarung“ oder Rahmenbetriebsvereinbarung kann bereits prinzipielle Punkte regeln, z.B.:
    • Welche Erkenntnisse sollen aus dem System abgeleitet und welche Daten müssen dazu erfasst werden
    • Welche neuen Anforderungen werden an die Mitarbeiter gestellt und welche Qualifizierungsmaßnahmen sind erforderlich
    • Wie will man grundsätzlich mit dem Wegfall oder der Verschiebung von Arbeitsplätzen umgehen

Analysephase:

  • Die Mitarbeiter/innen aller Ebenen werden in die Anforderungsanalyse einbezogen. Als „Experten in eigener Sache“ können sie selbst am besten beurteilen, wie ein konkreter Geschäftsvorfall und ein unterstützendes System gestaltet sein müssten.
  • Die Reporting- und Kennzahlensysteme, die auf den Daten des neuen ERP-Systems aufbauen sollen, werden unter Einbeziehung des Betriebsrates gestaltet. Manchem Abteilungsleiter, der ja das vorhandene Kontrollrecht seines Arbeitgebers in der Praxis ausüben soll, ist vielleicht die Grenze zur Mitbestimmungspflicht gar nicht in jedem Einzelfall bewusst.
  • Bei der Freigabe der Anforderungsliste wird der Betriebsrat einbezogen. Das stellt sicher, dass dessen Anforderungen berücksichtigt sind (Startschuss zum Systemdesign).

Designphase:

  • Der Betriebsrat überwacht, dass alle seine Vorgaben im Sollkonzept umgesetzt werden; z.B. in Bezug auf das Rollen- und Rechtekonzept und den Datenschutz („Zweckbindung bei der Verarbeitung personenbezogener Daten“), oder auf die Möglichkeiten zum Selbstgestalten von Bedienoberflächen (Bildschirmarbeitsplatzverordnung).
  • Der Betriebsrat erteilt ebenfalls eine Freigabe des Systemdesigns und stellt somit erneut sicher, dass seine Anforderungen berücksichtigt sind (Startschuss zur Systemprogrammierung).

Entwicklungsphase:

  • Neue Funktionen werden zunächst in sogenannten „Entwicklungsumgebungen“ programmiert und in „Testumgebungen“ ausprobiert. Diese müssen nicht im Zugriffsbereich des Auftraggebers liegen – will sagen: Persönliche und geschäftliche Daten Ihrer Mitarbeiter oder Kunden können zu Testzwecken auch auf den Computern Ihres ERP-Dienstleisters oder seiner Unterauftragnehmer landen. Es gibt Regelungen, wie damit umzugehen ist (das Stichwort dazu lautet „Auftragsdatenverarbeitung“) – hier wird neben dem Betriebsrat insbesondere der Datenschutzbeauftragte einbezogen.
  • Erste Funktionsprüfungen im neuen System werden in aller Regel durchgeführt, bevor die endgültigen Rollen und Zugriffsberechtigungen eingerichtet sind. Dadurch bekommen auch Mitarbeiter Einblick in die Testdaten (die oft aus Echtdaten abgeleitet sind), für die später ein Zugriff auf bestimmte Daten gar nicht mehr vorgesehen ist.

Bereitstellungsphase:

  • Eine moderne ERP-Software ist in der Bedienung komplex und nicht durch „Auspobieren“ zu erlernen. Die Qualität der Arbeit steht und fällt mit der Qualität der Ausbildung des Bedienpersonals. Hier kann der Betriebsrat Einfluss auf Art und Umfang der Schulungen nehmen und/oder die Einweisungen in die Software begleiten.
  • Schon mehrfach angesprochen wurde das Datenschutzthema. In der Bereitstellungsphase wird über das Rollen- und Rechtekonzept im System festgelegt, wer Zugriff auf welche Daten hat. Bei der Erstellung und Umsetzung dieses Konzeptes sollten BR und Datenschutzbeauftragter eingebunden sein.
  • Nochmal der Hinweis: Ein Betriebsrat hat das Recht, die Verwendung eines ERP-Systems in einer Betriebsvereinbarung zu regeln, bevor (!) der Arbeitgeber das System in Betrieb nimmt. Erfolgt die Abstimmung mit dem BR nicht rechtzeitig, kann dies zu Verzug im Projektzeitplan, höheren Kosten oder gar Konventionalstrafen beim ERP-Dienstleister, unnötig früh gezahlten Lizenzgebühren für die Software und Kosten für Sachverständige oder schlimmstenfalls für Gerichte bzw. Einigungsstellen führen.

Im  täglichen Betrieb:

  • Auch ein umfangreich geprüftes System kann noch Fehler enthalten oder ausfallen. Die Arbeitsqualität wird daher auch davon beeinflusst, wie schnell und wie gut der ERP-Anbieter auf Reklamationen und Fehlermeldungen reagiert, oder wie schnell er von sich aus Fehlerkorrekturen und „Updates“ des Herstellers bereitstellt. Diese Tätigkeiten nach der eigentlichen ERP-Einführung werden in sogenannten „Service Level Agreements“ mit dem Dienstleister geregelt; auch hier kann der Betriebsrat Einfluss auf den „Wohlfühlfaktor“ des ERP-Systems und damit auf die Ergebnisqualität der damit geleisteten Arbeit nehmen.
  • Die getroffene Betriebsvereinbarung zum ERP-System muss natürlich auf dauerhafte Einhaltung überprüft werden; hier kann der Betriebsrat – ggf. zusammen mit einem Sachverständigen – regelmäßige Stichproben durchführen.

Die Mediation im Konfliktfall

(Auch für Unternehmen ohne Betriebsrat!)

Petra Kastenholz, Mediatorin aus Essen, unterscheidet zwischen „positionsorientierter“ und „interessensbasierter“ Gesprächsführung, um die unterschiedlichen Stile zu charakterisieren, mit denen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung miteinander sprechen.

Während man „Positionen“ ungerne aufgibt, lassen sich „Interessen“ schneller nachvollziehen, ohne dass man gleich die Sichtweise des Gegenübers akzeptieren müsste. In der Mediation, so Frau Kastenholz in einem Interview, sei „… die Lösungssuche nicht auf das Durchsetzen der Position, sondern auf das Erreichen der dahinter liegenden Interessen fokussiert.“ Schlägt der Betriebsrat ein konstruktives Konfliktlösungsinstrument wie die Mediation vor, könne er insbesondere das häufig gehörte Argument entkräften, er „bringe immer nur Unruhe ins Unternehmen und werfe künstlich Probleme auf“.

Der Mediator als Vermittler

Gerade bei verhärteten Fronten ist es hilfreich, einen von beiden Seiten akzeptierten fachkundigen Vermittler hinzuzuziehen. Hier ist ein Mediator der ideale Ansprechpartner, da er mit seinem Selbstverständnis der „Allparteilichkeit“ beiden Parteien zur Umsetzung ihrer Interessen verhelfen will – anders als ein (Schieds-)Gericht, das durch seine Entscheidung einen Gewinner und einen Verlierer erzeugt.

Dies gilt insbesondere bei kleinen Unternehmen, die gar keinen Betriebsrat haben, aber den oben beschriebenen Herausforderungen einer ERP-Einführung genauso ausgesetzt sind. Hier wird sich ein einzelner Mitarbeiter sonst schnell einem „Machtwort“ seiner Unternehmensführung ausgesetzt sehen. Und auch die Geschäftsführung ist ansonsten vielleicht versucht, das ERP – unabsichtlich – auf eine Weise einzuführen, die auf wenig Akzeptanz, hohe Reibungsverluste oder sogar rechtlichen Widerstand stößt und damit unnötige Kosten verursacht.

Weitere Informationen

  • Das „TBSWiki“, betrieben von der Technologieberatungsstelle beim DGB NRW e. V., bietet Grundlageninformationen, praktische Handlungshilfen und zwei Bespiel-Betriebsvereinbarungen zum Download.
  • Der Rechtsanwalt Jan A. Strunk gibt in seinem Blog „LEGALIT“ einen ausführlichen Überblick über das „Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Nutzung betrieblicher Informations- und Kommunikationstechnologie“.
  • Die Rechtsanwältin und Wirtschaftsmediatorin (IHK) Dr. Julia Schweizer erläutert in ihrem Blog auf der Website der Frankfurter Mediationszentrale die unterschiedlichen Möglichkeiten der Mediation und der betriebsverfassungsrechtlichen Einigungsstelle.