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Buchbesprechung: „Watership Down“

03. Mai 2015

„Business-Fabeln“ sind in. Aber sie richten sich an Erwachsene. Kann auch ein Kinderbuch Geschäftsleute etwas lehren?

Über das Buch

„Watership Down“ ist eine Tiergeschichte von Richard Adams, in England 1972 erschienen bei Rex Collings (heute bei Penguin Books). Die Deutsche Erstveröffentlichung in der Übersetzung von Egon Strohm erschien 1975 bei Ullstein. Die aktuelle Auflage ist wie auch frühere Ausgaben bei Amazon zu haben.

Das Buch handelt von einer Gruppe von Kaninchen, die wegen einer drohenden Gefahr ihr altes Gehege verlassen und – angeführt von dem Haupt-Protagonisten „Hazel“ – unter vielen Abenteuern ein eigenes, neues Gehege aufbauen.

Warum ein Kaninchenroman in einem Blog über Projektmanagement?

Nun, natürlich, weil Projektleiter daraus etwas lernen können. Aber ander als bekannte Business-Fabeln wie „Das Pinguin-Prinzip“, die „Bären-Strategie“ oder die „Mäuse-Strategie“ handelt es sich bei Watership Down nicht um ein Lehrstück, das lediglich in ein Tierhandlung gekleidet wurde und an jeder Ecke den moralischen Zeigefinger hebt oder jedes Kapitel mit lehrreichen Merksätzen abschließt.

Watership Down ist in erster Linie eine „story about rabbits“ – eine Geschichte über Kaninchen. Der Autor hat sie zunächst für seine beiden Töchter erfunden, um die beiden auf einer langen Autofahrt zu unterhalten.

Für ganz kleine Kinder ist die Geschichte vielleicht noch nichts, denn die Handlung ist ziemlich komplex, und die Darsteller sind zahlreich. (Manche Leute weisen auch auf die expliziten Schilderungen von Gewalt hin, die das Buch für Kinder ungeeignet machten – ja, die gibt es, aber sie sind auch nicht schlimmer als in Grimm´s Märchen.) Aber der Punkt, auf den ich hinaus will, macht das Buch zu einem Buch für Erwachsene.

Was uns Hazel hier vorführt, ist Gutes Führen. Mit keinerlei hierarchischer Autorität ausgestattet, schweißt er eine Gruppe von Spezialisten und Einzelgängern zu einem erfolgreichen Team zusammen. Nicht alle dabei sind Spitzenleister oder die Fachleute, die er sich für als Unterstützung am liebsten gewünscht hätte. Und nicht alle ordnen sich ihm von Beginn an widerspruchslos unter.

An was erinnert uns das?
Sind Projektleiter nicht oft in derselben Situation?
„Herr X, Sie sind mein Projektleiter, und A, B und C sind in ihrem Team.“

Eigenschaften guter Projektleiter

Hazel wird erst im Verlauf der Geschichte zum „Oberkaninchen“. Aber was macht Hazel zu einem guten Anführer? Und was kann sich ein Projektleiter davon abschauen? Ich picke mal ein paar Textstellen, ein paar für Projektleiter besonders wichtige Eigenschaften heraus:

  • Der Projektleiter muss das Ziel vor Augen und einen Plan zur Zielerreichung im Kopf haben.
    „Hast Du schon einmal über den Winter nachgedacht?“ fragte Holly.
    „Es wird hier oben wahrscheinlich kälter sein, als wir alle es gewohnt waren“, sagte Hazel. „Aber der Boden ist so leicht und die Wurzeln lockern ihn so sehr, dass wir viel tiefer graben können, ehe das kalte Wetter einsetzt. Wir sollten möglichst unter die Frostgrenze kommen. Und was den Wind betrifft, können wir einige Löcher verstopfen und warm schlafen. Mit Gras steht es schlecht im Winter, ich weiß, aber jeder, der eine Abwechslung haben will, kann immer mit Holly hinausgehenund sein Glüclk beim Stibitzen von irgendwelchem Grünzeug oder von Wurzeln versuchen. Aber es ist eine Jahreszeit, wo man sich vor den Feinden in Acht nehmen muss.“

  • Er muss die Fähigkeiten seiner Teammitglieder erkennen und im Sinne des Ziels sinnvoll einsetzen können.
    Draußen beobachete er sie. Blackberry, wachsam und intelligent. Bigwig, quietschvergnügt bei der Aussicht auf Aktion. Der stetige, verlässliche Silver. Dandelion, der blendende Geschichtenerzähler. Buckthorn, vielleicht der vernünftigste und anhänglichste von ihnen allen. Acorn, Hawkbit und Speedwell, anständige Männer aus dem Mannschaftsstand, so lange sie nicht überfordert wurden. Zuletzt kam Fiver, wie ein Sperling im Frost.

  • Er muss Entscheidungen treffen und klar kommunizieren können, ggf. eindeutige Anweisungen geben.
    „Hör zu, Blackavar, ich schätze, ich werde dies entscheiden müssen. Ich glaube, dass Du recht hast und dass es ein gewisses Risiko gibt. Aber wir gehen die ganze Zeit ein Risiko ein, bis wir in unserem Gehege zurück sind, und alle sind so müde, dass ich es für richtig halte, ein oder zwei Tage haltzumachen. Wir werden uns nachher um so besser fühlen.“

  • Er muss delegieren und sein Team motivieren können (aber unangenehme Aufgaben auch mal selbst übernehmen).
    „Ich glaube, der Vogel hat Hunger“, sagte Hazel. „Wir sollten ihn füttern. Bigwig, geh und hole einige Würmer oder so etwas, sei ein guter Junge.“
    „Äh – was hast Du gesagt, Hazel?“
    „Würmer.“
    „Ich soll nach Würmern graben?“
    „Hat Dich die Owsla nicht gelehrt – oh, schon gut, ich gehe selbst“, sagte Hazel. „Du wartest mit Silver hier.“
    Nach einigen Augenblicken jedoch folgte Bigwig Hazel zum Graben und kratzte ebenfalls in der trockenen Erde. Es gibt nicht viele Würmer in den Downs, und es hatte tagelang nicht geregnet. Nach einiger Zeit blickte Bigwig auf.
    „Wie wär´s mit Käfern?“

  • Er muss für sein Team einstehen und sich bei Bedarf vor das Team stellen.
    Aber wie wär´s, wenn er selbst ginge und mit Woundwort redete? Gäbe es da nicht möglicherweise eine Chance, dass er Vernunft annähme? Was immer in Nutley Copse geschehen war, die Efrafas konnten nicht bis zum Ende gegen Kaninchen wie Bigwig, Holly und Silver kämpfen, ohne Verluste zu erleiden, wahrscheinlich recht zahlreiche Verluste. Woundwort musste das wissen.

Hazel zeigt noch in zahlreichen weiteren Situationen, dass er seinen Kaninchen ein guter Anführer ist. Er ist listenreich, findet Verbündete, sorgt für „Quick Wins“, kümmert sich um die Schwachen, ist bescheiden, gesteht Fehler ein, koordiniert und behält den Uberblick, verhält sich repräsentativ – und geht, wenn seine Zeit gekommen ist.

Andere Anführer

Wir sehen in der Geschichte auch noch andere Führungsformen. Die „gesättigte Macht“ des Lord Eberesche, der vor der drohenden Gefahr lieber den Kopf in den Sand steckt als etablierte Strukturen und Vorgehensweisen zu hinterfragen, die autoritäre Diktatur des Generals Woundwort, bei der die Sicherheit des Geheges über die individuelle Freiheit des Einzelnen gestellt wird, oder die praktisch führungslose Gesellschaftsform im Gehege von Cowslip, wo die Kaninchen durch hohen sozialen Druck bei der Stange gehalten werden.

Lesen Sie das Buch! Lesen Sie es als Roman, aber behalten Sie das Projektleiter-Thema im Hinterkopf – Sie werden die entsprechenden Stellen schon bemerken.